Systemische Fragetechniken
Alle systemischen Fragetechniken haben das Ziel, Informationen über das System zu gewinnen und zu verdeutlichen, dass bestimmte Situationen und Lebensumstände von den einzelnen Mitgliedern des Systems unterschiedlich erfahren werden. Des Weiteren sollen die Systemmitglieder durch die Fragen angestoßen werden, neue Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und zu erkennen. Die systemischen Fragetechniken dienen somit dem Informationsgewinn, sind aber gleichzeitig auch therapeutische Interventionen.
Zirkuläres Fragen
Bei zirkulären Fragen werden die Mitglieder eines Systems nach den vermuteten Gedanken, Meinungen oder Gefühlen der anderen Beteiligten gefragt. Diese Technik hat verschiedene Auswirkungen: zum einen muss sich die befragte Person in die Position des anderen hinversetzen und zum anderen kann der Befragte hierzu Stellung beziehen. Z.B. Frage an die Mutter „Was glauben Sie, denkt Ihre Tochter, wenn Sie mit Ihrem Mann streiten?"
Skalierungsfragen
Durch das Nutzen einer Skala können Unterschiede und Fortschritte verdeutlicht werden, z.B. durch Rangreihen oder Prozentangaben.
Fragen nach Ausnahmen von den problematischen Verhaltensweisen
Die Frage nach Ausnahmen vom Problem kann die Änderbarkeit von als statisch angenommenen Sachverhalten verdeutlichen und im Rückschluss die Bedingungen des Problem-Auftretens klären.
Fragen nach Ressourcen
Oft liegt der Fokus der Aufmerksamkeit ausschließlich auf dem Problemverhalten. Es kann hilfreich sein, Situationen oder Lebensbereiche aufzuzeigen, in welchen sich die Betroffenen wohl und kompetent fühlen und ihnen alternative Verhaltensweisen zur Verfügung stehen.
Hypothetische Fragen
Die Verwendung von Konjunktiven dient zur Hinwendung zu Lösungsoptionen und -möglichkeiten. Z.B. „Was wäre, wenn Sie sich mit ihrem Kollegen auf einmal gut verstehen würden?“ „Angenommen, Sie könnten das von Ihnen als Problem empfundene Verhalten bewusst herstellen. Wie würden Sie das tun?“
Wunderfragen
Bei dieser Fragetechnik wird erfragt, woran man erkennen könnte, wenn in der Nacht ein Wunder geschehen und das Problem über Nacht weg wäre. Über diese Frage kann der Befragte eine Lösung des Problems phantasieren und eventuell feststellen, was es benötigt, um diesen Zustand zu erreichen.
Fragen zum Therapierahmen und zur Therapiemotivation
Hier werden Fragen gestellt wie: „Welche Personen gehören zum relevanten System?“ „Welche Mitglieder des Systems sollen an der Therapie teilnehmen?“ „Wer hat bestimmte Erwartungen und Aufträge in der Therapiesituation?“
Refraiming
Refraiming bedeutet „Umdeuten“. Der Therapeut regt an, Sachverhalte in einem anderen Bedeutungs- und Interpretationszusammenhang zu sehen, damit eine Umdeutung stattfinden kann. Einem Problem oder Symptom wird dadurch ein anderer Sinn gegeben, indem es in einen anderen Kontext (einen anderen Rahmen, englisch: „frame“) gestellt und so eine neue Sichtweise eingeführt wird. Meist gilt eine Person im System als Symptomträger und derjenige, der „behandelt“ werden soll. Ein Refraiming kann stattfinden, indem diese Person in der Therapie z.B. als derjenige beschrieben wird, der anzeigt, dass sich das System in einem Veränderungsprozess befindet.
Die wertschätzende Konnotation
Die wertschätzende Konnotation kann in allen Phasen der Therapie zum Einsatz kommen. Hier geht es eigentlich weniger um eine konkrete Methode, sondern um eine therapeutische Einstellung und Haltung. Durch die wertschätzende Konnotation zeigt der Therapeut Anerkennung, Wertschätzung und Respekt für das Erleben und Verhalten des Systems und seiner Mitglieder.
Paradoxe Intervention
Eine paradoxe Intervention bedeutet in der Regel die beabsichtigte Verschreibung des problematischen Verhaltens und ist somit ein Auftrag, der eigentlich das Gegenteil dessen bezwecken möchte, was er besagt (deswegen „paradox“ für „widersprüchlich“). Z.B. könnte der Therapeut dem immerwährend streitenden Paar auftragen, jeden Abend eine Stunde vor dem Abendessen zu streiten – aber nur in diesem Zeitfenster! Oder einer Person, die unter Schlaflosigkeit leidet, zum Wachsein auffordern. Dies soll helfen, Automatismen zu verändern, die gewohnte Sichtweise zu „verstören“. Durch derartige Interventionen gerät das erstarrte, unflexible System wieder in Bewegung und hat die Chance, alte Regeln und Muster zu revidieren und sich neu zu organisieren. Die genaue Formulierung der paradoxen Intervention ist dabei entscheidend, denn sie muss möglichst gut auf den individuellen Kontext der Person angepasst werden, um als Verschreibung glaubwürdig zu sein.
Geschichten, Metaphern, Witze
Auch durch das Einsetzen von Geschichten, Metaphern und Witzen kann einem System geholfen werden, einen neuen Blickwinkel auf die Situation zu finden. Zum einen können potentielle Widerstände mit dieser Technik umgangen werden und zum anderen hilft es den Systemmitgliedern, sich von der meist ernsten, konfliktbeladenen Situation ein wenig zu entfernen und diese mit Distanz und wenn möglich auch Humor zu betrachten.
Soziogramm und Genogramm
Durch ein Soziogramm lassen sich soziale Beziehungen in einem System grafisch darstellen. Jedes Mitglied des Systems erhält ein Symbol und die Beziehungen zwischen den Mitgliedern können mit verschiedenen Verbindungslinien dargestellt werden. Mit einem Genogramm können die meist komplexen Informationen über die Vorgeschichte, die Beziehungen und wiederkehrende Konstellationen einer Familie übersichtlich visualisiert werden. Ein Genogramm ist mehr als ein Stammbaum, es kann dem System die eigene Herkunftsgeschichte verdeutlichen und helfen, bestimmte Verhaltensmuster und Regeln, Gewohnheiten und Traditionen im System besser nachzuvollziehen. Es hat sich hierfür eine Zeichensprache mit bestimmten Symbolen bewährt. Das wichtigste bei dieser Methode sind neben dem Informationsgewinn die Geschichten, die zu den Informationen und Daten erzählt werden.
Aufstellung
Bei einer Aufstellung wird versucht, die aktuelle Situation eines Systems durch eine Art „Standbild“ darzustellen. Dies kann in einer Einzeltherapiesituation mit Objekten (z.B. mit Gegenständen, Spielfiguren oder Stühlen) umgesetzt werden oder aber mit einer Gruppe von Personen. Bei der letzteren Variante sucht die aufstellende Person „Stellvertreter“ für bestimmte Personen oder auch für Symptome seines Problems. Diese Personen stellt er im Raum nach seinem Empfinden auf, so wie er das System zum Zeitpunkt der Aufstellung erlebt, wie sein inneres Bild des Systems aussieht. Wenn die Aufstellung erfolgt ist, werden diese symbolischen Repräsentationen der Beziehungen unter therapeutischer Begleitung betrachtet und gemeinsam auf deutlich werdende Strukturen, Beziehungskonstellationen, Muster, unterdrückte Konflikte u.ä. geblickt. Hierbei spielt das Erleben der aufstellenden Person eine wichtige Rolle, aber auch die aufgestellten Personen können Rückmeldungen geben, wie sie sich in den verschiedenen Positionen fühlen, welche Gedanken und Empfindungen sie als „Stellvertreter“ haben.
Abschlussintervention
Die Abschlussintervention ist ein wichtiges Element in der systemischen Therapie. Am Ende einer Sitzung wird den anwesenden Personen ein Resümee oder eine Aufgabe mit auf den Weg gegeben. Dies kann eine „Verschreibung“ sein, im Sinne einer Hausaufgabe (oft auch als paradoxe Intervention) bis zur nächsten Sitzung oder ein Kommentar. Diese Intervention knüpft an das Geschehen der vorausgegangenen Sitzung an, wertschätzt das System und bringt, wenn möglich, neue Aspekte und Blickwinkel der Sitzung (im Sinne eines Refraiming) mit ein. Die Abschlussintervention sollte eine Balance darstellen zwischen Herausforderung und Bestätigung des Systems und zum kontinuierlichen Ausprobieren und Entwickeln anregen.